Frank Stürmer
INFERNUL
Infernul, rumänisch Die Hölle, ist ein Reich, das nicht nur fern liegt, sondern im Jenseits. Die Ausstellung von Frank Stürmer im Raum Sauvage zeigt nicht nur verschiedene Sphären, sondern die Schwelle, die Anwesendes und Abwesendes miteinander verbindet. Eine Tonspur malt einen Hintergrund aus Grillen und einem Flugzeug, von Sommer und See; aber wenn auch Bilder auf Bildschirmen in zeitlicher Folge erscheinen, liegt draußen meist Schnee. Diese Folge nimmt einen Raum ganz ein und heißt Tiganiada nach dem Epos aus dem Jahr 1800 von Ion Budai-Deleanu. Der Künstler selbst scheint Teil einer wilden Gemeinschaft. Der andere Raum bietet zwei Drucke von Fotos, klein eine einzelne Taube, sitzend am Balkon, im Tageslicht und groß ein einzelner Mann, stehend auf einem Landungssteg, im Abendlicht. Sommer und Winter, Zusammensein und Alleinsein lösen sich so nicht nur ab; das eine scheint wie jenseits des andern zu liegen.
Gewiss haben die Roma, wie es heißt, anders gelebt. Und ebenso gewiss haben sich Schreibende, Musizierende und Malende seit der Romantik dem von der anderen Seite zu nähern versucht. Frank Stürmer nimmt ein Leben auf, das nicht westlich ist, vielleicht so orientalisch, wie Hans Sedlmayr von Eugène Delacroix spricht: „das Üppige, Sinnlich-Reiche und Schwüle, die heiße Temperatur“.
Aber nicht nur die Hand des Künstlers hat die Aufnahmen ausgelöst, und nur, wer Frank kennt, kann ihn aus den anderen herauslösen. Diese Gemeinschaft stellt sich nur biografisch als zeitweilig dar, und sie bedeutet nur kulturell, dass westliche Posen oder Produkte hier anders aussehen. Eine nicht enden wollende Gemeinschaft geht scheinbar daraus hervor, dass diese Welt sich nicht wie der Orient durch ein Bilderverbot abschließt und attraktiv macht, dass sie aber doch nicht zum Bild wird, weil sie zu viele und zu verschiedene Bilder erzeugt. Frank Stürmers Fotografie wird nicht zur Malerei, weil sie diesem Strom nicht Einhalt tut, sondern ihn umgekehrt freisetzt. Eine Frau lagert sich unter einer Reproduktion der Mona Lisa, an der Wand kann ein Teppich sein, aber auch ein Fernseher, ein Handy oder ein Spiegel erweitert, verdoppelt, verkehrt das, was da ist.
Diese Produktion endet auf der Schwelle zum anderen Raum. Das Ende besteht darin, dass die Fotos nicht bewegt, sondern platziert sind, so einzeln wie Taube und Mann. Wie die Blumen auf anderen Bildern Frank Stürmers wirken diese wie freie Wesen, frei auch vom Künstler und sogar von der Fotografie. Dieser Signifikant tritt so weit in den Hintergrund wie die Malerei in Byzanz. Das Signifikat dagegen findet nicht weniger Verehrung als in Byzanz. Dort hieß die Madonna Theotokos, Gottesgebärerin. Aber auch so ist „nur das Besondere gegeben“, wie es in der Kritik der Urteilskraft heißt. In Tiganiada gibt es sogar vom Raum nur so viel, wie die Individuen aufladen. In der Ausstellung Infernul richten die Bildschirme ihr Format nach den Bildern, nicht umgekehrt.
Aber auch unter diesem Titel gibt es keine neuen, anderen oder auch negativen Ikonen. Dass die durchwachsene Welt sich irgendwann teilt, die Guten ins Licht und die Bösen ins Feuer kommen, ist so wenig wahrscheinlich, dass der Künstler Tiganiada 2016 auch in einer Ausstellung mit dem Titel Paradisul zeigen konnte. Er fordert damit nicht wie William Blake The Marriage of Heaven and Hell. Und von Pantheismus zu reden, ist auch zu viel, wenn es erst nur Besonderes gibt. Infernul ist ein einzelner Name wie der Mann auf dem Steg ein einzelnes Bild, schwarz, orange und indigoblau, ohne Titel. Aber es ist nicht zu viel, es ist eher zu wenig, die Existenz des westlichen Menschen, der vom Wilden fasziniert ist und der es berechnet, im Ernst eine Hölle zu nennen.
Courtesy Berthold Reiß